Kann das Nichts wirklich existieren?
Warum kann Nichts sein? Warum gibt es einen Begriff für etwas, das eigentlich gar nicht existieren darf? Kann Nichts überhaupt sein? Diese absurd anmutenden Fragen stellen uns beim näheren Betrachten vor ein philosophisches Problem. Inwieweit kann ein Nichts oder das Nichts gedacht werden, wenn es, sobald man an es denkt, nicht mehr nichts ist? Und was hat das Ganze mit Design zu tun?
Die sprachliche Dimension des Nichts: Ursprung und Bedeutung
Vordergründig scheint es sich bei »Nichts« (Substantiv) und »nichts« (Indefinitpronomen) lediglich um ein sprachliches Phänomen zu handeln, das seinen etymologischen Ursprung im althochdeutschen Ausdruck »niowiht« hat und als »nicht irgendein Ding« begriffen werden kann – ein Ding also, das verneint wird und somit mit Attributen wie Nichtigkeit, Negation, Ungültigkeit, Bedeutungslosigkeit und Wertloses in Verbindung steht. (vgl. Pfeifer: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, S. 922) Das seiende Ding ist »Nichts« sozusagen sprachlich einverleibt und kurzerhand negiert worden. Diese scheinbar eindimensional sprachwissenschaftliche Betrachtung stößt jedoch an seine Grenzen sobald man versucht, einem tieferen Wesenskern des Wortes Nichts auf die Schliche zu kommen.
Philosophische Perspektiven: Nichts als Konzept in der Geistesgeschichte
Die europäische Geistesgeschichte hat hierzu in den letzten 2500 Jahren zahlreiche »Konzeptionen des Nichts« (vgl. Wirtz: Geschichten des Nichts, S. 33 f.) hervorgebracht. Philosophen wie Parmenides, Platon, Aristoteles, Hegel, Nietzsche oder Heidegger dachten allesamt über die Möglichkeit von Nichts nach und kamen zu verschiedenen Schlüssen. Nichts wurde in den Betrachtungen stets mit dem Seienden und dem Sein in Verbindung gebracht – mal als Gegenspieler, mal als unvermeidlicher Teil des Seins und des Seienden. Vom einen wurde es gänzlich ausgeschlossen (Parmenides), vom anderen in eine differenzierte Nichts-Konzeption getragen (Platon, Hegel, Nietzsche, Heidegger).
Das Rätsel des Anfangs: Leibniz und Heidegger über das Nichts
Wenn wir nun den gedanklichen Versuch starteten, an den Anfang aller Dinge zu gehen, müssten wir wie Leibniz fragen: »Warum ist überhaupt eher etwas als nichts?« (Leibniz: Philosophische Schriften 6,602) – oder wie Heidegger konsequenterweise fortführt: »Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?« (Heidegger: Was ist Metaphysik?, S. 24) Dieses Fragen zieht bisweilen eine religiöse Dimension nach sich, in der man den Anfang aller Dinge mit der creatio ex nihilo final begründen würde.
Nichts als schöpferischer Prozess: Eine kreative Dialektik
Dass es sich bei der Beschäftigung mit »Nichts« weniger um eine creatio ex nihilo, als vielmehr um eine creatio nihili, also eine Schöpfung des Nichts handelt, wird spätestens dann klar, wenn wir in den zirkulären Gedankengängen den Ausgangspunkt erreichen und die seltsame Schleife gedanklich erneut durchlaufen.
Dieser Prozess des gedanklichen Werdens und Vergehens, der auftritt, sobald man versucht Nichts immer und immer wieder denken zu wollen, ist, so behaupte ich, ein höchst kreativer und schöpferischer Prozess. Wenn man möchte, der dialektische Prozess des Denkens schlechthin.
Auf Arbeitsprozesse im Allgemeinen und Designprozesse im Konkreten scheint der iterative Wesenskern des »An-Nichts-Denken-Wollen« trefflich zu passen. Es geht freilich nicht darum, wortwörtlich an nichts zu denken, sondern durch Iteration und Dialog immer wieder neues Denken und alternative Lösungen zu Tage zu fördern: ein gegenseitiges Hochschaukeln zu außergewöhnlichen Ideen.
Da capo!